The Replacement


Barbora und Radim Zurek hatten kürzlich ihren ersten Aufsehen erregenden und wichtigen Auftritt in der tschechischen Fotografieszene. Heute haben sie es – zusammen mit anderen tschechischen Fotografen – mit ihren eigenständigen, konzeptuell starken, visuell einprägsamen und technisch perfekten Arbeiten, die aktuelle kreative Tendenzen aufgreifen, geschafft, ein breites Publikum für Ihre Arbeiten zu interessieren. Wie andere Künstler aus ihrer Generation, haben die Zureks keinerlei Scheu, nach Inspirationsquellen außerhalb des Ghettos traditioneller Fotografie zu suchen, wie z.B. im Film, der Musik, der Literatur, der zeitgenössischen Kunst, außerhalb der Fotografie genau so wie in der Mode oder der Welt der Werbung. Wie eine wachsende Anzahl anderer junger Künstler bedienen sie sich meisterhaft der Möglichkeiten digitaler Manipulation fotografischer Bilder. Statt traditionell die reale Welt und ihre Bewohner aufzunehmen – diese Vorgehensweise dominierte die Fotografie in den ersten einhundertfünfzig Jahren ihrer Existenz – erschaffen sie Bilder, die zu einer nicht-existenten Welt mit artifiziell erzeugten Menschen gehören, einer Welt, in der Realität und Fiktion nicht mehr auseinander zu halten sind. Obgleich die Fotografie ihre Aura der Wahrheit verloren hat (die sie jedoch sowieso nie vollständig erfüllt hat), ist sie heute ein unbegrenztes Mittel um Visionen zu porträtieren, die nicht von konkreten Objekten abhängen.


Identität und Typologie sind die häufigsten Themen in der aktuellen zeitgenössischen digital manipulierten Fotografie. Seit Nancy Burson, die Porträts zahlreicher Diktatoren, Schauspielerinnen oder amerikanischer Präsidenten zusammenfügte, die in technischer Hinsicht nicht perfekt waren, und sie aus diesem Ansatz quasi gemittelte typologische Studien schuf, haben sich digitale Techniken rapide weiterentwickelt. Heutzutage erlauben digitale Technologien sowohl Anthropologen als auch Künstlern, Bilder eine „typischen“ französischen Frau aus tausenden verschiedenen Porträts zu generieren und dank der selben Technologien ist es Yasumasa Morimura möglich, sich selbst zum Teil von Gemälden alter und neuer Meister zu machen.


Es sind die Themen des Klonens und genetischer Zusammenhänge, die Barbora und Radim Zurek besonders stark interessieren. In ihrer Werkgruppe „Descendants“, mit der das Paar zum ersten Mal noch während seines Studiums am Institut für Kreative Fotografie an der Silesian University in Opava die Aufmerksamkeit eines breiteren Publikums erlangte, zeigten sie bereits fiktive Kinder, deren Mutter Barbora war, und die Väter verschiedene Männer inklusive ihres eigenen Mannes Radim, und die ihre Gestalt chamäleonartig veränderten. Auf den ersten Blick wirken die vergleichenden Porträt-Triptychen so, als ob sie lediglich ein unterhaltsames Spiel mit den Genen für den Betrachter sind, in dem die typischen Merkmale der vermeintlichen Eltern zu Gesichtern nicht existierender heranwachsender Kinder mit dem Computer zusammengemischt werden. 

Die Arbeiten sind jedoch nichts weniger als lediglich ein Spiel. Die Künstler unterbrechen bewusst das vermeintliche Spiel, indem sie Kinder Anfang zwanzig zeigen, was nicht mit dem Alter ihrer vermeintlichen Eltern korrespondiert, die lediglich wenige Jahre älter als die Kinder sind. Barbora Zurkova, die für die Mutter in allen Triptychen steht, und deren Merkmale in allen Heranwachsenden zu finden sind, ist zwanzig Jahre alt. Die Künstler arbeiten mit einer wesentlich profunderen Intention, wie sie selbst erklären: „Mit Hilfe der Computer-Assemblage haben wir nach einem umfassenderen Bild gesucht, wer wir selbst sind, wofür wir leben, wer wir waren und wer wir werden könnten.“ Eine weitere Dimension bringen die Zureks in dieses Projekt ein, indem sie die Porträts nicht existierender Menschen in Websites für Bekanntschaftsanzeigen einstellen. Die neueste Serie der beiden Künstler, „The Replacement“, trägt ebenfalls einen profunderen soziologischen und psychologischen Unterton. Ohne Frage ist diese Werkgruppe das Highlight in ihrem bisherigen künstlerischen Werdegang. In leeren Landschaften mit niedrigem Horizont und wolkenverhangenem Himmel porträtieren Barbora und Radim Zurek Jungen und Mädchen an der Schwelle zur Jugend, deren Gesichter uns an Kinderbilder oder Klone von vielen Celebrities erinnern, wie sie weltweit aus Fernsehen, Zeitungen und Magazinen bekannt sind: Schauspieler wie Harrison Ford, Al Pacino oder Christopher Walken, Darstellerinnen wie Penélope Cruz, Joan Collins und Jessica Lange, Supermodels wie Claudia Schiffer, Fußballstars wie Pelé und Pavel Nedved, Sänger und Popstars wie Björk und Michael Jackson, Tennisspieler wie Boris Becker und sogar Wolfgang Amadeus Mozart. Das Auge des Betrachters ist zunächst gefangen in der perfekten technischen und künstlerischen Ausführung der idyllischen Porträts von heranwachsenden Jungen und Mädchen zwischen Unschuld und noch unterdrücktem sexuellen Verlangen. Trotz der eleganten Kleidung, der modischen Frisuren und der digital akzentuierten Ähnlichkeit, die die Gleichheit der Jungen und Mädchen mit den selbstsicheren Berühmten und Reichen betont, strahlen diese engelsgleichen schönen Gesichter Unsicherheit, Verwirrtheit und Melancholie aus. Traurige Landschaften ohne Sonne und matte Farben steigern die ungewöhnliche Atmosphäre. Dergestalt zeigen die Zureks die Irritation auf, die zwischen den tatsächlichen Personen und ihren Klonen herrscht. Wir können nicht sicher sein, ob es sich um Kinderporträts der Celebrities, um Klone oder um Kinder handelt, die ihr Bestes tun, um wie ihre Idole auszusehen (man denke daran, wie viele solcher Kinder während des Medienhypes nach dem Tod von Michael Jackson zu sehen waren). Wir bleiben im Ungewissen, aber die Künstler ermutigen uns, über eher generelle psychologische Fragen nachzudenken und bemerken: „Die Konfrontation eines Klones und seiner realen Koexistenz versus einer Kind-Eltern Koexistenz öffnet ein Thema bezüglich des Grades an Reife eines Menschen, die nötig ist, sich selbst als die eigene Ersatzperson akzeptieren zu können; den eigenen Klon im Umfeld der eigenen Beziehungen zu akzeptieren, die man über eine lange Zeit hinweg aufgebaut hat; und, sich mit dem Wunsch konfrontiert zu sehen, die private Identität und Einzigartigkeit zu erhalten.“


© Vladimír Birgus
© der Übersetzung: Heinz-Martin Weigand